ECHOES OF SILENCE
Immersive und interaktive Konzertinstallation mit Online- und On-Site-Publikumsbeteiligung

Eine Kooperation mit ALLOTHROE Athen
Künstlerische Leitung: Claudia van Hasselt, Lotte Greschik, Nicolas Wiese

Auftragskompositionen (UA) für Percussion, Gitarren und Stimme: Lefteris Veniadis
Komprovisationen: VanHasselt/Josel/Giovanos, Ferdinand Breil, Nicolas Wiese
Uraufführung: Elisabeth-Kirche Berlin, 31. 8. 2021/ 
online im Rahmen von ALLOTHROE EUROPE – 
Echoes of Democracy (Athen)  2020/2021

Im Mittelpunkt von ECHOES OF SILENCE steht das Schicksal griechischer Partisaninnen, die unter der Deutschen Besatzung im Zweiten Weltkrieg erstmals gleichberechtigt mit den Männern Widerstand leisteten, im Verlauf des darauf folgenden Bürgerkrieg aufgrund ihres Strebens nach Demokratie und Emanzipation jedoch als Staatsfeinde verhaftet und mit ihren Kindern über 10 Jahre auf den Inseln Trikeri und Makronisos interniert und getötet wurden.
FrauVonDa geht aus von Tagebucheinträgen und Lyrik, die auf den Inseln entstanden sind. Sie erzählen vom Überleben, von den kraftvollen Akten, dem täglichen Kampf um Würde und Integrität.
Die von ihnen verfassten, auf der Insel vergrabenen und in den 60-ger Jahren von den überlebenden Frauen dort geborgenen und veröffentlichten Tagebücher sind ein zugleich bedrückendes und beeindruckendes Zeugnis eines freien Geistes und demokratischen Instinktes: Besonders der unbeugsame Wille, als Individuum handlungsfähig zu bleiben, die aus der Situation resultierende Erkenntnis, nur in Gemeinschaft überleben zu können und insbesondere die Entscheidung, gemeinsam eine Art geheimer Polis mit entsprechender Untergrund-Infrastruktur (Schule, Theater, medizinische Versorgung) zu schaffen.

Während unserer Recherchereise in Griechenland führten wir Interviews mit Zeitzeug:innen und heutigen Aktivist:innen, begleitet von dem in Athen lebenden Komponisten Lefteris Veniadis. Wir recherchierten und sammelten Bild- und Tonmaterial an historischen Schauplätzen wie dem ehemaligen Camp auf der Insel Trikeri, in Chaidari, dem ehemaligen Konzentrationslager Athens und heutigen Truppenübungsplatz der griechischen Armee sowie dem unterirdischen Gestapo-Folterkeller Korai im Herzen Athens.
Das multidirektional angelegte und sich in mehrere Verlaufs-Optionen auf-fächernde Stück beinhaltet kapitelweise Abstimmungsmomente für das anwesende Publikum sowie für ein internationales Online-Publikum, welches über eine speziell für dieses Stück programmierte Interaktiv-Plattform von Zuhause in das Geschehen eingreift.
So erhalten die Zuschauer:innen an jedem Ort eine Stimme im Werk und tragen, gemeinsam mit den Künstler:innen, die Verantwortung für den Verlauf der Performance. Das spielerische Moment der interaktiven Darbietung steht dabei immer dem Leid der Frauen unter totalitären Strukturen gegenüber.
Indem die Performance selbst zum demokratischen Prozess wird, verknüpfen wir die individuelle response-ability als Bürger mit dem emanzipatorischen Akt der Trikeri-Frauen. Das Publikum wird gemeinsam mit den Künstler:innen und den historischen Frauengestalten zu einer Art response-ablen Polis – das Stück ein Plädoyer für Demokratie als höchstes Gut und zugleich spielerischer Möglichkeitsraum für individuelles politisches Agieren.
Die Primärkompositionen stammen von L. Veniadis und wurden in Griechenland während der Recherche, basierend auf den Tagebuchauszügen, gemeinsam konzipiert. Sie werden jeweils in ‚Komprovisations-Inseln‘ wiederholt, jedoch nach den durch das Publikum charakterlich definierten musikalischen Parametern. Die Musiker:innen folgen den Abstimmungsergebnissen des Publikums und sind gefordert, die Kompositionen gleichzeitig koordiniert
und frei zu adaptieren. Als freie und unabhängige Stimme agieren die vorab in einem OpenCall zugesandten Materialien des internationalen Publikums sowie die Soundscape-Kompositionsmodule von Nicolas Wiese und Claudia van Hasselt sowie die darauf basierende Live-Elektronik von Ferdinand Breil.
ECHOES OF SILENCE verbindet mehrere Forschungsaspekte. Zum einen die umfangreiche historische und empirische Recherche zur Widerstandsgeschichte in Griechenland und in Verbindung mit den heutigen Aktivist:innen die Frage nach dem individuell empfundenen auslösenden Moment Widerstand zu leisten.
Zum anderen die Interaktions-Forschung – bezüglich wechselnder und auf Publikumsabstimmung reagierender Performance-Module und die daraus hervorgehenden Konsequenzen für das Format der Performance.
Im Vordergrund stehen hier demokratisch-philosophische Grundsatz-Fragen:

Wieviel Mitbestimmung lassen wir als künstlerisch Verantwortliche zu?
Wollen wir das Stück quasi übergeben an das Publikum?
Müssen, wollen wir kontrollieren und anführen?

Hieraus ergaben sich sowohl die Formen des Zusammenspiels als auch das Verhältnis von Inhalt und Form (Ausgangsmaterial und neuartiges Performance-Setting). Ein weiterer, für uns neuer Forschungsaspekt bestand hinsichtlich der Entwicklung des für die online-Abstimmung konzipierten technischen Interface mit den Augmented-Reality-Fachleuten von NEEEU! Das internationale Publikum konnte so aktiv auf den Verlauf der Performance Einfluss nehmen, während die anwesenden Zuschauer:innen per Handzettel abstimmten. Diese waren zusätzlich in Gruppen unterschiedlicher Größen eingeteilt und mussten sich als solche für die Voten koordinieren. Über das Interface war es möglich, die Online-Abstimmungen zeitgleich mit den Abstimmungen vor Ort als Spielanweisung für das Ensemble einzublenden.

/EN/

During the Second World War, Greek partisan women fought against the German occupation–equal partners of the male partisans for the first time. After the end of the war, they were not rehabilitated but instead persecuted as communists once again and interned with their children on the islands of Trikeri and Makronissos, amongst others. As a starting point, the music theatre collective FrauVonDa selects diary entries and pieces of poetry which were written on the islands: they tell of survival, of the powerful acts, as well as the daily struggle for dignity and pride. The original texts are linked with reports of today’s political activists in Athens.
As a plea for democracy and participation, the audience becomes increasingly involved as an artistic partner during the performance, taking decisions about various parameters of the performance with increased frequency.
Eleftherios Veniadis‘ music consists of composed segments, free improvisations in direct exchange with the audience, and, finally, »comprovisations« which process material sent in advance by the international audience via open call. At the same time, the online audience acts together with the guests in attendance via an interactive platform: voting results become directly visible here and influence the performance directly. In this way, the viewers at each location are given a voice in the work and, together with the artists, bear responsibility for the course of the performance.
The playful moment of the interactive performance is always juxtaposed with the suffering of women under totalitarian structures – ECHOES OF SILENCE celebrates democracy as the highest political good.
The »comprovisations« have a central importance as an interface between the audience and the performers: they are based on the materials sent by the international audience.

With kind support by
Initiative Neue Musik Berlin, Bezirkskulturfonds Mitte, Fonds Darstellende Kuenste, Goethe Institut

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claudiavanhasselt@yahoo.com

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10437 Berlin
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